Mein Sehen bleibt physisch folgenlos
von Lucie Klysch – Kunsthistorikerin, Dresden
Sami Ajouri wurde 1980 in Syrien geboren und besuchte bis zu seinem Diplom 2003 die Fakultät der Bildenden Künste in Damaskus. Darauf folgte das Studium der Malerei und Druckgrafik (Diplom 2011) an der Akademie der Bildenden Künste in Wien bei Professor Gunter Damisch. Seine Kunst kennzeichnet sich durch ein abstrakt-konzeptionelles Frühwerk, seit 2016 definieren sich seine Arbeiten überwiegend durch figurative Darstellungen. Der Switch zwischen den Bildgattungen war keine sukzessive Entwicklung. Auf der Suche nach einem dezidiert wahren und direkten Ausdruck, folgte Sami Ajouri einem ursprünglichen, inneren Impuls. Entscheidend für diese Geste waren Fotoarbeiten, die während eines humanitären Arbeitseinsatzes entstanden sind. Die in Syrien aufgenommenen Fotografien zeigen sogenannte Friedenskämpfer. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, sämtliche Hilfseinsätze in Krisengebiete zu eskortieren und sind somit die wichtigsten Vertrauensmenschen bezüglich der logistischen Organisation.
Die Idee war, dass sich die Männer vor der Kamera selbst in Szene setzen und nach ihrer eigene Vorstellung posieren sollten. Bereits durch die fotografische Serie eröffnet sich ein eindringliches Spannungsfeld. Mit scharfer Monition humanitäre Arbeit verrichten, das erscheint paradox und lässt die Männer weder Opfer noch Täter werden. Die beiden abgebildeten Gemälde sind Teil der Serien Cain und zeigen zwei massive Figuren vor einem monochromen Hintergrund. Die Körper verschwimmen allmählich durch einen beunruhigenden Farbschleier auf der Fläche. Im Hintergrund ist nichts weiter zu erkennen. Die Ölmalereien können als Erweiterung der Fotodokumentation betrachtet werden und bringen den Umgang mit verschiedenen Realitäten subtil auf den Punkt. Durch die Rückkopplung von der dokumentarischen Fotografie zur klassisch anmutenden Portraitmalerei, entsteht ein memorialer Aspekt.
Der wesentliche Kern dieser Arbeiten scheint zu sein, dass eine Trennung zwischen dokumentarischer Fotografie und Ehrenportraits nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Um dieser Symbiose den entsprechenden Ausdruck zu verleihen, knüpft Sami Ajouri an bekannte Traditionen an. Seit dem 16. Jahrhundert gilt das Kniestück in Frontalansicht als drastische Repräsentation heroischer und/oder adeliger Persönlichkeiten. Im Laufe der Zeit ersetze ein lockerer Pinselstrich die Idealisierung durch dominate Schönheitsideale bis der Klassizismus sie wieder strenger und schlichter werden ließ. Unabhängig von der jeweiligen Epoche, bleiben die Anforderungen an ein klassisches Heldenportrait gleich. Die Portraitierten müssen sich durch besondere Taten als bildwürdig erwiesen haben, um mit staatlichen Symbolen den Personenkult jener Zeit zu repräsentieren.
Sami Ajouris Portraits lassen keinen Zweifel daran, dass es sich um nennenswerte Persönlichkeiten handelt. Mit eindringlichem Blick in Richtung der Betrachtenden und in lässig-überheblicher Haltung tragen sie die Uniform ihrer Zeit. Die Männer tragen Symbole der Macht, die sie mit großer Wahrscheinlichkeit überleben werden. Bedingt durch die Motivwahl, setzt er ein Nachdenken über das soziale und politisches Bedürfnis von Kultur und Reliquien in unsere Gesellschaft in Gang. An die Bilder von Zerstörung, Zerfall und Verzweiflung haben wir uns mittlerweile gewöhnt. Es sind Szenen von Bombardements und Gewalt, die von den Medien in regelmäßigen Abständen wiedergegeben werden. Doch es gibt kaum eine angemessene Dokumentation derer, die sich im Untergrund gegen den Terror einsetzen, die sich im moralischen Schwellenbereich befinden und morgen vielleicht nicht mehr da sind.
Gleichzeitig hinterfragen die Gemälde auch den sozialen Nutzen des Künstlers und die Art und Weise, wie ein Kunstwerk funktioniert sowie den Konventionalismus der Kunst als solcher. Anhand der Malerei versucht SA die Rolle fotografischer und malerischer Bilder bei der Gestaltung und Bewertung der Wirklichkeit zu untersuchen. Es ist ein Versuch das Portrait aus seinem klassischen Kontext zu befreien, um sie egalitärer und zugänglicher zu machen. Sami Ajouri prüft so die konventionellen Werte, die wir dem Kunstgegenstand zuschreiben und stellt Fragen zur Malerei. Der Körper dient als Schauplatz, jedoch nicht um ein pathetisch-heroisiertes Bild eines Märtyrers darzustellen, sondern um eine Form der Erinnerung, die sich auf Perspektiven der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft stützt, dauerhaft aufrechtzuerhalten. An vorderster Front werden diese Männer als Helden wider willen gefeiert um im nächsten Moment bereits wieder vergessen zu sein. Die Bilder strahlen eine unbequeme Anziehungskraft aus. Männer, die auf Katastrophen blicken und uns dennoch unaufhaltsam in die Zukunft treiben. Durch diese ikonographische Illustration der Katastrophe leistet Sami Ajouri eine originelle Arbeit gegen das Vergessen.
von Lucie Klysch – Kunsthistorikerin, Dresden